Von Lichtenrade bis Tempelhof: Manufakturen im Kiez

Was haben Wetter, Fruchtaufstriche, Dörrobst und Seifen gemeinsam? Richtig: Sie sind handgemacht, werden in Tempelhof hergestellt, sind ziemlich einzigartig und bundesweit bekannt.

Seifen sieden ist wie Pudding kochen

Die Macherin: Seit 2012 stellt Regine Klimes Hand- und Körperseifen her. Jedes Stück ist ein Unikat, handgemacht und hausgemacht. Denn dort, wo früher der Keller der Familie Klimes war, ist heute die Seifenwerkstatt. Hier wird mit unterschiedenen Zutaten experimentiert, hier entstehen neue Rezepte, hier wird gekocht und gepackt.

Der Prozess: Öle und Fette wie Kakao-, Kokos-, Mandelöl und Sheabutter stammen vorwiegend aus biologischem Anbau. Tonerden, Pflanzenpulver und Kosmetikpigmente bringen Farbe in die Seife; für den guten Duft sorgen ätherische oder kosmetische Parfümöle. Je nach Rezeptur fügt Regine Klimes Kräuter oder Peelingzusätze hinzu. Seifen sieden sei fast wie Pudding kochen, meint die Autodidaktin. „Du rührst die Bestandteile zusammen und kochst sie auf.“ Anschließend wird die noch nicht feste Masse in eine Holzform gegossen. Mit Schaschlikpikser werden Muster gezogen Bis zu sieben Tage ruht der Seifenblock, dann zerschneidet ihn in viele kleine Seifen. Jedes Stück wird gestempelt und danach für drei bis sechs Monate dunkel gelagert. Während dieses Verseifungsprozesses verliert die Seife Wasser, sie wird fester, milder und leichter.

Das Produkt: Alle Hauptstadtseifen haben ihre natürlichen Fette erhalten und sorgen dadurch für ein besonders schönes Hautgefühl – in 14 verschiedenen Duftnoten von Amber bis Zitrus, von Lemon-Verbena bis Kokos-Shake, von Sandelholz bis Kaffee. Wie viele Manufakturen vertreibt Regine Klimes ihre Produkte online und bei ausgewählten Veranstaltungen.

Die Herausforderung: „Ich musste mich erstmal orientieren, wo ich meine Seifen anbieten will. Anfangs habe ich regelmäßig Wochenmärkte besucht, was totaler Quatsch war. Man braucht ja nicht jede Woche ein Stück Seife.“

Das Schönste: „Als ich 2017 den Zuschlag bekomme habe, die Seifen für den Kirchentag Berlin-Brandenburg zu machen. Da habe ich mich sehr gefreut.“ Inzwischen ist ihr Label ist weit über Berlins Grenzen bekannt, sie bekommt Anfragen und Aufträge aus ganz Deutschland.

Das Einmalige: Am Gartenzaun in Lichtenrade hängt ein ehemaliger Kondomautomat, den Regine Klimes zum Seifenautomat umfunktioniert hat. Für zwei Euro kann man dort zwischen fünf Naturseifensorten wählen. Rund um die Uhr.

Kontakt: www.hauptstadtseife.de. Eisnerstraße 19, 12305 Berlin, Tel. 030 76766203

Von wegen trocken: Esspapier mit Fruchtgeschmack

Die Macher: Am Anfang steht Verschwendung: Obst, das weggeworfen wird, weil es nicht makellos aussieht. Dann kommt die Idee: wirtschaftlich und nachhaltig Lebensmittel zu etwas Leckerem zu verarbeiten. Dafür püriert Zubin Farahani 2014 die geretteten Äpfel und Beeren in der heimischen Küche und trocknet sie im Backofen. Länger als geplant – doch was herauskommt, ist ein fruchtiger Snack, der auf der Zunge zergeht – die Geburtsstunde des Fruchtpapiers. 30 Tage lang produziert der angehende Arzt fast ohne Pause, füllt 300 Tüten mit den Leckereien und verkauft sie innerhalb von zwei Tagen. Und bekommt tatkräftige Unterstützung von seinen Freunden Jonas Bieber und Philipp Prechtner, beide Betriebswirte – das Dörrwerk entsteht und zieht 2016 von Kreuzberg nach Mariendorf.

Der Prozess: „Lange Zeit haben wir Rohstoffe aus der Umgebung verarbeitet“, erzählt Prechtner: „Erdbeeren aus Beelitz, Äpfel aus der Märkischen Schweiz. Das Unternehmen ist inzwischen so gewachsen, dass wir zusätzlich zum geretteten Obst auch Früchte erster Wahl dazu kaufen. Um 40 Gramm Fruchtpapier zu bekommen, müssen wir 800 bis 1000 Gramm frische Früchte verarbeiten.“ Am Anfang standen die Macher selbst an der Püriermaschine; heute wird das Mus von Partnerbetrieben aus ganz Europa geliefert und im Dörrwerk weiter verarbeitet: in einer Woche bis zu einer Tonne Apfelpüree und rund 800 Kilogramm Zweitfrüchte – ganz ohne künstliche Aromen und Zusatzstoffe. In großen Dörröfen trocknet es im klassischen Umluftverfahren 17 bis 18 Stunden.

Das Produkt: Sind die Fruchtpapierplatten abgekühlt, werden sie von Produktionshelferinnen und -helfern wie ein Stück Papier gefaltet und per Hand gebrochen. Dann knistert und knackt es, wenn die Bruchstücke auf den Produktionstisch fallen. Kein Stück gleicht dem anderen – unglaublich lecker schmecken sie alle Mango-Apfel, Ananas-Apfel, Erdbeere-Apfel und Brombeere-Apfel. Kaufen kann man den süßen Snack bundesweit u.a. bei Rewe, Edeka, Famila und Migros.

Die Herausforderung: „Die größte Hürde war die ISF-Zertifizierung, das heißt dem International Food Standard zu genügen. Ohne den wird kein Produkt von den großen Händlern ins Angebot aufgenommen.“

Das Schönste: „Das Gefühl, wenn man die eigenen Produkte im Laden sieht, wenn ein Kunde die Tüte mit dem Fruchtpapier in die Hand nimmt und im Idealfall damit zur Kasse geht. Dann merkt man, es hat sich gelohnt.“

Das Einmalige: Dörrwerk spendet einen Teil seiner Erträge für Lebensmittel rettende Projekte.

Kontakt: www.dörrwerk.de. DÖRRWERK GmbH, Im Marienpark 22, 12107 Berlin, Tel. 030 3642853 60,

Einfach die leckerste Marmelade

Die Macher: Als Timo Brüggemann und Percival Correia de Barros Junior vor ein paar Jahren bei Münchener Freunden hausgemachte Heidelbeermarmelade vom Viktualienmarkt probieren, macht es Klick. „Es schmeckte lecker, sah aber scheußlich aus. Da haben wir überlegt, ob wir das nicht besser machen können“, blickt Brüggemann zurück. Drei Monate brauchten der Pfälzer und der Brasilianer, um ihre Idee umzusetzen. „Im August 2014 haben wir die Firma gegründet, im Weihnachtsgeschäft haben wir zum ersten Mal verkauft.“

Der Prozess: „Wir unterscheiden uns gar nicht so sehr von Großmutters Marmeladenherstellung. Wir kochen die Gläser heiß aus, lassen die Früchte ziehen und kochen sie unter ständigem Rühren lange auf.“ Viele Zutaten für die Marmeladen kommen aus der näheren oder weiteren Umgebung. Kirschen aus Deutschland, Erdbeeren aus Polen, Aprikosen aus Frankreich, Birnen und Äpfel aus Brandenburg. Und Wassermelonen manchmal aus der Pfalz.

Das Produkt: Die Marmeladen werden in kleinen Mengen gekocht, was bei 150 verschiedenen Sorten eine Menge Fruchtaufstrich bedeutet: Von Ananas-Kokos über Erdbeere-Grapefruit-Grüner Pfeffer bis zu Mandarine-Rosmarin, Quitte-Safran oder weihnachtlicher Pflaume-Marzipan-Marmelade. Aufstriche mit und ohne Alkohol oder einfach nur aus einer Frucht. Alle Sorten werden frisch hergestellt und sind frei von künstlichen Aroma- und Farbstoffen. Dabei handelt es sich nach der europäischen Konfitürenverordnung bei den Marmelicious-Produkten streng genommen nicht um Marmeladen, sondern um Fruchtaufstriche. Für Timo Brüggemann ein Qualitätsmerkmal: „Fruchtaufstrich bedeutet mehr Obst und weniger Zucker. Unser Obstanteil liegt zwischen 66 und 75 Prozent, der Zuckeranteil liegt bei maximal 30 Prozent, also ungefähr bei der Hälfte von herkömmlicher Marmelade.“

Die Herausforderung: Brüggemann kommt aus dem E-CommerceIch komme aus dem Digitalen mit unendlichen Ressourcen. Bei Marmelicious stellten sich anfangs ganz andere Fragen: Haben wir genug Glas, ist die Lieferkette gesichert? Wie lange muss man vorausplanen, wann muss man eine zwei-Lieferanten-Strategie fahren. Das haben wir schmerzvoll gelernt in den ersten 18 Monaten. Da war viel Versuch und Irrtum.“ Heute sind eher die steigenden Einkaufspreise ein heißes Thema.

Das Schönste: Wenn Sie digital arbeiten, wissen Sie ja manchmal nicht, ob es wirklich sinnvoll war. Beim Marmeladekochen wissen Sie am Ende des Tages, was Sie getan haben. So wie gestern, da haben zwei Mitarbeiter zusammen 2.700 Gläser gemacht. Das war ein guter Tag.“

Das Einmalige: Die Idee für den ungewöhnlichsten Aufstrich stammt vom Küchenchef eines großen Berliner Hotels. Für seine ausländischen Gäste suchte er eine regionale Besonderheit, Marmelicious kombinierte die Spreewaldgurke mit Vanille . Jetzt sind vor allem Amerikaner verrückt nach dieser Kreation und kaufen die Gläser kartonweise.

Kontakt: www.marmelicious.de. Marmelicious GmbH, Teilestraße 11-16, Tor 3, 12099 Berlin, Tel. 030 220136840

Alle reden vom Wetter. Vor allem wir.

Die Macher: Chefmeteorologe Jörg Riemann beschäftigt sich seit mehr als 25 Jahren mit Schnee und Hagel, Hochs und Tiefs, Wind und Wolken. Simone Dietrich ist zuständig für den Vertrieb. Gemeinsam mit zwölf Kolleginnen und Kollegen erstellen sie seit gut einem Jahr Wetterprognosen für Geschäftskunden.

Der Prozess: „Wir haben ein Modell entwickelt, mit dem wir punktgenau Bodentemperaturen und die wetterabhängige Straßenbeschaffenheit berechnen können“, erklärt Simone Dietrich. Anhand unserer errechneten Tragflächentemperaturen wissen Fluggesellschaften, ob und wann sie die Flugzeuge enteisen müssen. So können unsere Kunden ihre Arbeitsabläufe dem Wetter anpassen, ihre Fahrzeugflotten anders einteilen, Personalkosten und Einsatzmittel sparen.“ Braucht der Kunde eine Prognose für seinen Standort, z.B. eine Brücke oder einen Radweg, werden die Geodaten in das Modell eingegeben und in kurzer Zeit eine Prognose errechnet.

Das Produkt: Die Wettermanufaktur gibt meteorologisches Wissen maßgeschneidert und verständlich an den Kunden weiter. Nicht automatisiert in allgemeinen Tabellen oder Grafiken, sondern durch persönliche Gespräche und Beschreibungen. Simone Dietrich erläutert die Idee am Beispiel Straßenreinigung und Winterdienst: „Angenommen, der statistische Mittelwert liegt bei 0 Grad. Dann kann das an der einen Stelle minus 0,5 Grad bedeuten, also Kälte; an einer anderen Stelle plus 0,5 Grad, keine Streupflicht, weil keine Kälte. Ein Meteorologe kann aber mit seiner Erfahrung auch einschätzen, woher die Kälte kommt und wann sie eine bestimmte Region erreicht. Wir denken nicht nur ans Wetter, sondern auch daran, wie es sich beim Kunden auswirken kann. Das ist es, was der Kunde für seine Arbeit braucht. Deswegen stellen wir den Menschen in den Mittelpunkt unserer Arbeit.“

Die Herausforderung: Das Wetter an sich. Auch mit viel Erfahrung sei es immer noch schwierig abzuschätzen, welches Potenzial in einem Gewitter steckt und ob es wirklich dort stattfindet, wo es vorhergesagt wurde.

Das Schönste: Die Mischung aus automatisierten Werten und persönlicher Betreuung funktioniert tatsächlich. Die Vorhersagen kommen beim Kunden gut an.

Das Einmalige: Ein Jahr bestanden. Mehr als 41.700 Berichte geschrieben. 12.000 individuelle Glättewarnungen rausgeschickt. Und dank der tollen Lage im fünften Stock neben der Malzfabrik das Wetter im Blick.

Kontakt: www.wettermanufaktur.de, Bessemerstraße 16, 12103 Berlin, Tel. 030 959991010

Dieser Beitrag erschien zuerst im Tempelhofer Journal (03/18)