Schnaubend traben die Pferde an der Besuchertribüne vorbei. Vor den Wettschaltern drängeln sich Glücksritter und Zockerinnen, um die letzten Euro gewinnbringend anzulegen. Pferde, Jockeys und Publikum bringen sich in Position für das nächste Rennen. Sonntagnachmittag auf der Trabrennbahn, Mariendorfs Markenzeichen und absolutes Muss für Liebhaber von Pferderennen.
Seit 1913 Jahren geht es rund auf der Trabrennbahn Mariendorf, die ganzjährig geöffnet ist. Zwei Männer sind damals an ihrem Erfolg maßgeblich beteiligt: August Endell, Künstler, Dichter und Architekt. Und Bruno Cassirer: Verleger, Galerist und erfolgreicher Pferdezüchter. Er ist einer der ersten Vorstände des Trabrenn-Vereins und prägt den deutschen Trabrennsport wie kein anderer. Aber Cassirer ist auch Jude und wird 1933 aus allen Ämtern gedrängt, er darf die Mariendorfer Trabrennbahn nicht mehr betreten. 1938 emigriert er nach Oxford, im Trabrennbahn-Verein werden alle Funktionen nationalsozialistisch korrekt besetzt. Trotzdem zählt Mariendorf bis 1939 zu den exklusivsten und führenden Bahnen des Landes.
Nach der Wiedereröffnung 1946 entwickelt sich die Bahn zu einem Publikumsmagneten: Nicht nur Trabrennen ziehen das Publikum in Zeiten des Wirtschaftswunders an. Auch Modenschauen und Motorradrennen. Weltstars, die von der Berlinale einen Abstecher nach Mariendorf machen, locken Zehntausende an den Mariendorfer Damm. Alljährlicher Höhepunkt ist die Derby-Woche mit bis zu 70.00 Besucherinnen und Besuchern.
Wer gewinnen will, muss Glück haben – oder Durchblick
Das fängt schon beim Verständnis des Wettscheins an: Die richtige Trabrennbahn und den Wochentag anzukreuzen ist kein Problem. Die Reihenfolge der Rennen steht im Programmheft. Wie hoch der Einsatz ist, bestimmt ein Blick ins Portemonnaie. Der Mindesteinsatz liegt bei 20 Cent. Wer auf einen Außenseiter setzt und damit richtig liegt, kann mehrere Tausend Euro gewinnen. Doch auf das richtige Pferd zu setzen – dafür gibt es zig verschiedene Arten: Zweier-, Dreier-, Viererkombinationen, Platzwetten. Oder nur auf den Sieger.
„Während der Bahnsprecher Ross und Reiter, Gestüt und Erfolge nennt, paradieren die Sulkys am Publikum vorbei. Auf den Tribünen, die 8.000 Menschen Platz bieten, werden die Ferngläser gezückt. Auf den Stehplätzen behauptet der Hauswart aus Marienfelde seinen Platz neben den schrillen Ladys aus Schöneberg, daneben fachsimpeln Hausfrauen auf Kaffeekränzchentour mit Hipstern aus der Werbebranche über die beste Platzierung.
Der Startschuss fällt, und auf der 1.200 Meter langen Wettkampfbahn rasen die Pferde los. Dass sie hier im Uhrzeigersinn und nicht, wie auf den meisten anderen Bahnen, linksherum laufen, habe nichts mit den Vorlieben der Pferde zu tun, meint PressesprecherHeiko Lingk. „Das liegt daran, wie die Bahn gebaut wurde. Der Zieleinlauf soll ja möglichst nahe an der Tribüne sein.“ Pferd und Fahrer geben beim Endspurt noch mal alles – und wenn das richtige Pferd gewinnt, jubeln auch die Pferdewetter mit dem richtigen Tipp.
Selbst wenn die großen Zeiten des Trabrennsports längst vorbei sind, hier und heute ist Pferdewetten ein Gesellschaftsspiel – bei dem die Trabrennbahn Mariendorf zum wöchentlichen Vergnügen gehört.