Rund um die alte Mälzerei: Vision und Wirklichkeit

Neues Stadtquartier in Lichtenrade

Alte Mälzerei: ein imposantes Bauwerk als Mittelpunkt im Quartier ©UTB Projektmanagement GmbHEin wunderschönes altes Industriebauwerk als Mittelpunkt des Kiezes, Heimat für Stadtteilbücherei und Musikschule, Volkshochschule, Kindergarten und Experimentarium, Kino, Kleinkunstbühne, soziale Träger und Start-ups. Umgeben von modernen Wohnhäusern, nachhaltig und ökologisch gebaut, zu zwei Dritteln in Genossenschaftshand. Sozial verträgliche Mieten. Freie Wege und offene Sichtachsen zwischen Häusern und Grünflächen. Kaum Autos und trotzdem mobil. Und die seltenen Turmfalken sollen auch weiterhin hier brüten können.

Wenn Thomas Bestgen von der alten Mälzerei, Haus Buhr und dem entstehenden Wohngebiet nördlich des Lichtenrader Bahnhofs spricht, klingt das visionär und handfest zugleich.

Visionär, weil der 53-jährige Unternehmer das neue Stadtquartier schon 2022 eröffnen will – als urbanen Raum, in dem sich die Menschen gerne aufhalten. Handfest, weil der gebürtige Westfale viel Erfahrung mit Projektentwicklung, -steuerung und -finanzierung hat.

Nach seiner Ausbildung zum Bankkaufmann hat Thomas Bestgen Betriebswirtschaftslehre studiert und sich schon früh mit Genossenschaftsmodellen beschäftigt. „Das Besondere an Genossenschaften ist, dass sie nicht fremdbestimmt sind. Genossenschaftliche Projekte gehören den Mitgliedern und unterliegen einem strengen demokratischen Prinzip.“

In Zeiten von Immobilien- und Finanzkrisen sind genossenschaftliche Wohnformen ein sehr beständiges Geschäftsmodell: Die Einlagen sind gut verzinst, die Mieten sind bezahlbar, die Mieterinnen und Mieter haben ein Dauerwohnrecht – und gute Nachbarschaft ist meist auch garantiert.

Thomas Bestgen, Eigentümer der alten Mälzerei in Lichtenrade ©UTB Projektmanagement GmbHAls Thomas Bestgen 1996 die UTB Projektmanagement GmbH für nachhaltige Stadtentwicklung gründet, spielt der Genossenschaftsgedanke auch hier eine große Rolle. Im Laufe der Jahre wird er mit seinem Team rund 15 Genossenschaften gründen und begleiten. Vielleicht habe es mit seinem Elternhaus zu tun, meint der Unternehmer und Vater von drei Kindern. „Gemeinschaft hatte bei uns immer einen hohen Stellenwert. Wir sind im Vereinssport groß geworden und waren alle immer ehrenamtlich tätig. Ich habe von klein auf mitbekommen, was man gemeinschaftlich schaffen kann.“

Nachhaltige Stadtentwicklung bedeutet für den Geschäftsführer eine „gute Mischung aus Bewohnerinnen und Bewohnern mit unterschiedlichen Einkommensstufen und Nutzungsinteressen.“ In Kombination mit moderner Technologie und intelligenter Planung, hoher Energieeffizienz und Umweltverträglichkeit führe diese Mischung zu stabilen Nachbarschaften und einer lebenswerten Stadt – oder eben eines Stadtteils.

Auf gute Nachbarschaft

B-Plan Alte Mälzerei Lichtenrade (c) UTBDas neue Quartier rund um die Mälzerei zu entwickeln, sei etwas Besonderes, meint Bestgen. „Es ist ein Geschenk, dass die Mälzerei allein als Bauwerk schon eine Ausstrahlung hat. Das Schöne ist, dass wir viel Zeit haben. Es gibt keine Verwertungsdruck. Wir sind nicht investorengetrieben, sondern können in aller Ruhe entscheiden, was entstehen soll.“ Das ist möglich, weil Bestgen gemeinsam mit seiner Frau die alte Mälzerei, den Wohnblock und das Haus Buhr privat gekauft haben.

Neues macht oft Angst, vor allem, wenn man sich die Veränderungen nicht selbst ausgesucht hat. Mit ein Grund, warum trotz großer Wohnungsnot viele Menschen nicht wollen, dass sich in ihrem Kiez etwas ändert. Oft fürchten sie steigende Mieten und die damit verbundene Gentrifizierung. Thomas Bestgen weiß um die Sorgen und setzt deswegen auf Kommunikation und Transparenz. Schon 2016 gab es erste Treffen mit den Anwohnerinnen und Anwohner, ein Jahr wurde ein Nutzungskonzept vorgestellt. Auch für die geplanten Häuser setzen der Projektentwickler und sein Team auf Bürgerbeteiligung. „Wir wollen früh wissen, wie die Menschen wohnen wollen, wie sie Nachbarschaft wollen. Erst wenn das klar ist, können wir den Architekten sagen, wie sie planen sollen. Denn Architektur muss Gemeinschaft möglich machen, so dass die Menschen sich auch begegnen können.“

Und weil Nachhaltigkeit eine ebenso große Rolle spielt, ist in der so genannten Wohnscheibe auch Carsharing geplant. „Wir werden das Auto nicht negieren können“, sagt Bestgen. „Deswegen gibt es in der Tiefgarage ein Mobilitätsangebot für diejenigen, die nur temporär ein Auto brauchen.“

Die vier neuen Häuser soll rund um die Mälzerei gebaut werden, zwei Drittel davon für genossenschaftliches Wohnen. „Unsere Sozialmieten werden bei 6,50 Euro liegen.“ Das sei zwar nicht wirtschaftlich, sagt der Finanzfachmann, aber sozialverträglich. „Wir wollen ja nicht nur vermögende Genossenschaftsmitglieder.“ Gegenfinanziert wird durch Eigentumswohnungen. Und auch hier hat der Projektentwickler eine klare Haltung: „Wir könnten alles in Eigentum machen, aber das ist nicht unsere Leitlinie. Unsere Idee ist die Mischung – eine bunte Mischung von Menschen für eine gute Nachbarschaft. Das muss man wollen. Und wir wollen das.“

Bestgen und sein Team kennen sich aus mit der Entwicklung von Stadtquartieren und genossenschaftlichem Bauen: In der Fidicinstraße haben sie ein denkmalgeschützten Ensemble in ein modernes Wohnprojekt für angestammte Nachbarn umgewandelt. Das markant rote Lokdepot am Gleisdreieckpark in Schöneberg wurde 2015 mit dem Deutschen Architektenpreis ausgezeichnet, und in Weißensee war im Februar Baubeginn für ein neues gemeinschaftliches Quartier. Auch in Weimar und Greifswald hat die UTB Quartiers- und Wohnprojekte mit internationalen Planern umgesetzt. Trotz dieser Erfahrungen ist das Projekt in Lichtenrade für Thomas Bestgen etwas Besonderes. Als Student hat er in Lichtenrade gewohnt, seit mehr als 20 Jahren ist er mit seiner Familie in Tempelhof. Seine Kinder sind hier geboren und gehen hier zur Schule. „Von daher ist es viel näher und vertrauter.“

Moderner Dorfplatz mit historischen Strukturen

Ausgeklügeltes Transportsystem für die Bierbrauerei ©UTB Projektmanagement GmbH„Wir wollen, dass die Mälzerei öffentlich genutzt werden kann, damit es lebendig wird. Ich möchte nicht, dass das Gebäude eine uneinnehmbare Burg wird. Ich möchte die Distanz zwischen den Menschen und diesem Wahnsinnsgebäude aufheben.“ Bestgen will Allmendeflächen schaffen, also Räume und Flächen, die von allen Besucherinnen und Besuchern genutzt werden können. Mit dem Bezirk hat er sich geeinigt, dass die Stadtteilbücherei mit einem Café in den ersten beiden Etagen ihren Platz findet. „Die Bibliothek bekommt eine Galerieebene, so dass man auch von unten einen weiten Blick hoch durch die Halle und die beiden Stockwerke hat. Ich möchte die Mälzerei öffnen, auch optisch mit großen Fenstern, damit es eine gläserne Mälzerei wird.“ Diese Vision wird sich erfüllen, denn nach eineinhalbjähriger Diskussion hat die Denkmalschutzbehörde grünes Licht für die Pläne gegeben. „Es kann das ein richtig kunterbunter lebendiger Stadtteil werden. Das ist unser Ziel.“

Dieses Ziel will Bestgen in vier Jahren erreicht haben. Erster Schritt sei die Eröffnung der Mälzerei im Jahr 2019, die Neubauten sollen 2022 fertiggestellt werden, wenn auch der Wiederaufbau der Fernbahnstrecke beendet ist.

Nachdem die Lichtenrader Bürgerinitiative mit ihrem Vorschlag gescheitert ist, einen Tunnel statt einer Lärmschutzwand quer durch den Ort zu bauen, hat sich Thomas Bestgen mit der Deutschen Bahn zusammengesetzt, um seine Vorstellungen von nachhaltiger Stadtentwicklung zu diskutieren. „In dem Gerichtsurteil steht, dass die Bahn die Erschließung des Haus Buhrs und des Quartiers qualifizieren muss. Das haben sie aus unserer Sicht nicht gemacht. Aber wir haben eine Treppe ausgehandelt. Das ist unsere Achse, damit die Menschen von der S-Bahn direkt an der Mälzerei entlang ins Wohnquartier kommen.“

Wohnen, arbeiten, leben

Als ein Investor das ehemalige Landhaus 2011 und umliegende Wohnungen abreißen und eine Shopping Mall errichten wollte, hatten sich viele Lichtenrader zu einer Bürgerinitiative zusammengeschlossen und gegen diese Pläne protestiert. Thomas Bestgen hat sich mit den Akteuren und dem Aktiven Zentrum getroffen, um gemeinsam zu überlegen, wie man dem Haus zu neuem Leben verhelfen kann. „Da sind ganz viele Ideen gesprudelt. Der Bezirk hat daraufhin eine Machbarkeitsstudie anfertigen lassen, die Interessen decken sich mit unseren als Eigentümer zu 99 Prozent. Und das ist ein sehr guter Ansatz. Jetzt gibt es eine weitere Studie über ein Einzelhandels- und ein Nutzungskonzept für Gewerbeflächen auf der gesamten Bahnhofstraße. Haus Buhr ist Teil davon.“

Wieder zeigt sich, wie wichtig Partizipation und Kommunikation sind. Es gebe viele Interessierte, die sich an den Diskussionen beteiligen, sagt Thomas Bestgen. „Wir sind ganz offen und für einen Beteiligungsprozess, damit die Bürger ein Stück weit selber mitmachen.“

Visionen werden Wirklichkeit

Der Bauantrag für die Mälzerei ist gestellt, die Bebauungspläne lagen von Mitte Februar bis Mitte März öffentlich aus. Der Bebauungsplan für die geplanten Neubauten muss noch entwickelt werden. Thomas Bestgen ist zuversichtlich, dass er seinen Zeitplan halten kann. „Das Land Berlin und seine Bezirke haben es sich auf die Fahne geschrieben, Bebauungsplanverfahren innerhalb von zwei Jahren abzuschließen. Wir sind überzeugt, dass unser Heimatbezirk das auch leisten kann.“ Damit steht einem neuen, lebendigen Stadtquartier in Lichtenrade hoffentlich nichts mehr im Weg.

Alte Mälzerei, Steinstr. 37 – 41, 12307 Berlin

Dieser Beitrag erschien zuerst im Tempelhofer Journal (02/18).